Gestern Abend gebe ich gedankenlos meine Internetseite mit .com ein und gelange plötzlich auf meinen Zeitgedanke-Blog, den ich 2011 geschrieben hatte und nicht weiterführen konnte, weil ich die Zugangsdaten nicht mehr wusste. Das war ein bisschen wie in historischen Tagebüchern blättern 😉
Ein Beitrag ist heute noch genauso präsent wie damals: das Thema „Selbstbestimmung bei MS“. Aber lest selbst den Artikel vom September 2011 und zwischendurch gibt es in kursiv geschrieben von mir meine Anmerkungen dazu im Blick auf Damals und Heute:
September 2011 vs. August 2017
[…] Seit Wochen überlege ich, wie ich meine Artikel schreiben kann, um andere MS Betroffene damit anzusprechen. Soll ich mit dem wissenschaftlichen Gedanken schreiben oder doch ganz persönlich? Ich habe mich für die „Ich-Form“ und meine Geschichte entschieden, die ich zum ersten Mal seit fast 19 Jahren [mittlerweile sind es schon mehr als 24] mit anderen teilen möchte. Das ist ein verdammt schwerer Schritt, da ich meine Krankheit für die Sichtbarkeit in der Gesellschaft zum größten Teil sehr gut 16 Jahre lang verstecken konnte. Nun kann ich sie nicht mehr verstecken, weil man es sieht, sobald ich laufe.
Aktuell beschäftige ich mich sehr stark damit, was ich tun kann, damit es mir gut geht. Seit einem Monat bin ich in einer psychotherapeutischen Beratung und hätte nie gedacht, dass ich das mal mache. [ich war 2011 bei Herrn Dr. Frederich, ein toller Mann, der leider schon verstorben ist. Dann kam bei mir eine große Lücke bezüglich psychologischer Gesprächstherapie, aber vor vier Jahren habe ich wieder eine sehr gute Therapeutin in Mainz gefunden und der Umgang mit der MS und meinem Kopf und der Gesellschaft lernt weiter viel dazu und ich bin froh, dass ich das für mich zugelassen habe.]
Vor Jahren fragte mich mal eine Freundin, ob das nicht gut für mich sei mit einer psychologischen Gesprächstherapie, darauf antwortete ich nur „sowas brauch ich nicht“. Aber es geht nicht um das Thema „brauchen“, sondern darum, sein Leben und sich besser zu verstehen. Ich bin sehr froh, dass ich einen Therapeuten gefunden habe, der den Kern des Ganzen betrachtet und dazu gehört wohl, nach seinen jahrelangen Erkenntnissen mit MS-Klienten, die Thematik Selbstbestimmung. [Dr. Frederich sagte mir ziemlich am Anfang unserer Gespräche „das wichtigste bei der MS ist, dass man ein selbstbestimmtes Leben führt“. Ganz so einfach ist das aber nicht, denn zu selbstbestimmt gefährdet die Partnerschaft und da einen Mittelweg zu finden ist sehr schwer. Das weiß ich jetzt leider aus eigener Erfahrung.]
Mir fällt es seit Kindertagen sehr schwer, Nein zu sagen, Andere zu enttäuschen und möchte eines Jeden gut Freund sein. Doch das kann ja gar nicht funktionieren! Seitdem ich mehr darauf achte, auch mal NEIN zu sagen, nicht so den Perfektionismus raushängen zu lassen, geht es mir nicht nur physisch sondern auch körperlich besser. [das würde ich heute wieder voll unterschreiben und diese Erkenntnis und dieser Lernprozess waren und sind sehr weiterbringend]
Nervenneubildung
Bevor ich mich allerdings dazu entschlossen hatte, mir professionelle Hilfe dazuzuholen, habe ich viel gelesen. Unter anderem das Buch von Sonja Wierk über Selbstheilung bei MS. Das klingt im ersten Moment wie Zauberei, aber es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Dinge, die einmal in der Kindheit erlernt wurden, neu und erneut aktiviert werden können. Eine sogenannte Nervenneubildung, Neuroplastizität. Ich kann sagen, es ist verdammt viel Wahrheit dabei, sofern man sich darauf einlässt und ganz fest daran glaubt. Ich stelle mir nun schon seit Wochen vor, und wenn es nur 5 Minuten am Tag sind, wie ich laufe, renne und springe. Ich denke an früher, als ich viel Sport gemacht habe, stelle mir in Gedanken jede einzelne Szene vor. Ich beobachte andere Menschen, wie sie laufen, sich bewegen und schaue weg, wenn Personen dabei sind, die „schlecht“ laufen, da dies mein Gehirn als Lernen nicht aufnehmen soll. Was soll ich sagen, es wird besser, ich freue mich jeden Tag aufs Neue, meinen gestörten Nervenfasern Neuverbindungen entstehen zu lassen. Natürlich gibt es auch immer wieder kleine Rückschläge, aber die müssen wohl sein, damit man die Tage, an denen es richtig gut läuft, besondere Beachtung, Freude und weitere Motivation schenkt. [und das mache ich bis heute so. Und auch wenn seit dem einige Jahre vergangen sind und es mir mal schlechter und mal besser ging so kann ich sagen, ich bin fest überzeugt, dass es mir viel schlechter gehen würde, wenn ich das nicht machen würde. Das ist meine persönliche Meinung ohne einen wissenschaftlichen Beweis liefern zu können. Ein Artikel zum Thema „Nevenneubildung“ wird hier auf meinem Blog noch folgen.]
Was mache ich noch? Ich übe und trainiere mein Gleichgewicht und versuche immer positiv zu denken, aber auch das gelingt natürlich nicht immer und zu jederzeit. Vor drei Wochen habe ich mir von meinem Neurologen Ergotherapie verschreiben lassen, hätte ich früher nicht machen wollen, wäre mir doof vorgekommen, wie ein Kleinkind über einen affigen Oma-Parkour zu laufen. Was soll ich sagen, es ist egal, ob ich mich zum Affen mache oder nicht. Meine Beweglichkeit verbessert sich und das allein ist das Allerwichtigste, gern auch als Affe ? [das positive Denken hat sich in diesem Jahr (2017) sogar noch verstärkt und mein Training ist noch intensiver geworden als es mal war, ohne, dass ich mich verausgabe.]
[…]
Abschlussanmerkung
Wenn ich den Artikel von 2011 lese weiß ich, dass seitdem sechs Jahren vergangen sind, aber ich fühle mich heute besser als damals, auch wenn ich das bezogen auf das Laufen nicht sagen kann. Ich bin noch optimistischer geworden, ich bin fröhlicher und besser gelaunt geworden. Ich akzeptiere, dass ich bei ganz langen Strecken den Aktivrolli nehme, ich freue mich über meine sportlichen Alternativen, die ich finde, auch wenn ich der alten sportlichen Dany immer noch nachtrauere. Aber an meiner Verrücktheit und meinem Kinderherz ist mir nichts verloren gegangen.
Keiner kann die MS wegzaubern, auch wenn ich jeden Tag nach dem dafür richtigen Zauberstab suche, aber jeder kann irgendwie immer das Beste daraus machen. Ich kann mit meinem nicht so guten Gleichgewichtssinn kein Motocross mehr fahren, tja dann bastel ich mir halt einen Beiwagen ans Motorrad und das Gleichgewicht ist wieder hergestellt. Aber glaubt nicht, das war ein einfacher Weg bis hierhin, der Weg war steinig und all diese vielen Steine lagen nur in meinem Kopf. Und bis ich das erkannt hatte gingen einige Sommer ins Land. Es nützt auch nichts, wenn andere sagen, was und wie man das machen sollte und was besser ist. Jeder MSler muss die Erkenntnis für sich ganz allein finden. Hilfestellungen sind immer sehr nett und vergleichen kann man das vielleicht mit einem Alkoholkranken, der erst dann trocken wird, wenn er das in seinem Kopf auch will.
Diesen Artikel zu lesen, den ich 2011 schrieb, das hat mir nochmal gezeigt, dass man niemals aufgeben sollte und jeder kleine Schritt den man geht, der kann später vielleicht oder auch bestimmt was Gutes hervorbringen. Und wenn es nur ist, dass man seinen MS-Bewegungs-Stand erhalten kann.
Es bleibt wie immer spannend und ich neugierig 🙂